IGSF-Studie "Morbiditätsprognose 2050 – Ausgewählte Krankheiten für Deutschland" vorgelegt
Die Erfahrungen mit den letzten beiden Reformen, dem GKV -Modernisierungsgesetz und dem GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetz, machen nach der nächsten Bundestagswahl eine solche Reform auch dringend erforderlich. "Es darf keine weitere Reform im Gesundheitswesen, keine neue Gesetzgebung mehr geben, die sich nicht daran orientiert, was an Problemen auf die Gesundheitsversorgung aufgrund der demografischen Entwicklung zukommt. Die jüngste Gesetzgebung im Gesundheitswesen hat nicht einmal im Ansatz eine Orientierung an Problemen der Gesundheits- versorgung von morgen erkennen lassen", so Prof. Dr. med. Fritz Beske vom IGSF in Kiel bei der Vorstellung einer neuen Studie des Instituts mit dem Titel "Morbiditätsprognose 2050 – Ausgewählte Krankheiten für Deutschland, Brandenburg und Schleswig-Holstein", eine Hochrechnung der Morbidität bis 2050 für 22 Krankheiten.
Neben nationalen Daten wurden dabei auch internationale Daten herangezogen. Die Auswahl der 22 Krankheiten orientiert sich an deren Häufigkeit und Schwere sowie an Art, Umfang und Validität der gewonnenen Daten und damit an der Möglichkeit,eigene Hochrechnungen mit belastbaren Ergebnissen durchzuführen. Es wurde außerdem Wert darauf gelegt, Krankheiten aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten auszuwählen. Entsprechend der Datenlage wurde die Zahl der Erkrankten (Prävalenz) oder die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen (Inzidenz) berechnet. Da es nicht möglich ist, eine zusammenfassende Prognose für die Morbidität aller Krankheiten oder zumindest einer überwiegenden Zahl von Krankheiten einer Bevölkerung und damit für den Begriff "krank" durchzuführen, muss der Weg über einzelne Krankheiten gewählt werden, um eine zuverlässige Grundlage für die Planung der künftigen Gesundheitsversorgung zu schaffen. Die Ergebnisse können in ihren Auswirkungen auf den Versorgungsbedarf sowohl hinsichtlich der finanziellen Mittel als auch im Hinblick auf das erforderliche Arbeitskräftepotenzial bei ständiger Abnahme der im Erwerbsleben stehenden Altersgruppe als dramatisch bezeichnet werden.
Die Bevölkerung geht von 82,2 Millionen 2007 auf 68,8 Millionen 2050 zurück, ein Minus von 13,4 Millionen. Im gleichen Zeitraum nimmt die nachwachsende Generation, die Altersgruppe unter 20 Jahre, von 15,9 auf 10,4 Millionen ab, ein Minus von 5,5 Millionen. Die Altersgruppe im erwerbsfähigen Alter und damit diejenige Altersgruppe, die überwiegend das Bruttosozialprodukt erarbeitet, Steuern und Versicherungsbeiträge zahlt und das Arbeitskräftepotenzial für alle Berufe und damit auch für die Berufe im Gesundheitswesen stellt, geht von 49,8 auf 35,5 und damit um 14,3 Millionen zurück.
Es nimmt zu die Altersgruppe 65 Jahre und darüber von 16,5 auf 22,8 und damit um 6,3 Millionen und besonders auffällig die Altersgruppe 80 Jahre und darüber, der Hochbetagten, von 3,9 auf 10 und damit um 6,1 Millionen. Eindrucksvoll ist die prozentuale Entwicklung. Die nachwachsende Generation nimmt um 35 und die Zahl der Erwerbsfähigen um 29 Prozent ab. Die Zahl der nicht mehr Erwerbsfähigen dagegen nimmt um 38 und die Zahl der Hochbetagten um 156 Prozent zu, Ausdruck der weiter steigenden Lebenserwartung. Der Altenquotient ist die statistische Relation der Altersgruppe 20 bis 64 Jahre zur Altersgruppe 65 Jahre und darüber. Der Altenquotient halbiert sich von 3 zu 1 auf 1,6 zu 1, was bedeutet, dass heute für einen, der nicht mehr erwerbsfähig ist, drei Erwerbsfähige zur Verfügung stehen. 2050 stehen nur noch 1,6 Erwerbsfähige für einen nicht mehr Erwerbsfähigen zur Verfügung. Entwicklung von 22 Krankheiten bis 2050 in absoluten Zahlen. Grundlage von 2007 in absoluten Zahlen und die prozentuale Steigerung 2030 und 2050 zu 2007. Diese Zahlen geben einen Hinweis auf die absoluten Zahlen der zu erwartenden Erkrankten und des damit notwendigen organisatorischen, personellen und finanziellen Bedarfs.
Exemplarische Auswahl von Erkrankungen
- Altersbedingte Makuladegeneration
Zunahme der Erkrankten von 710.000 im Jahr 2007 auf 1,6 Millionen 2050, eine Zunahme von 125 Prozent. - Diabetes mellitus
Zunahme der Erkrankten von 4,1 bis 6,4 Millionen 2007 auf 5,8 bis 7,8 Millionen 2050, eine Zunahme von 20 bis 22 Prozent. - Herzinfarkt
Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 313.000 im Jahr 2007 auf 548.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 75 Prozent. - Schlaganfall
Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 186.000 im Jahr 2007 auf 301.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 62 Prozent. - Krebs insgesamt
Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 461.000 im Jahr 2007 auf 588.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 27 Prozent. - Brustkrebs
Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen liegt 2007 und 2050 bei jeweils 59.000. - Prostatakrebs
Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 63.000 im Jahr 2007 auf 88.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 39 Prozent. - Demenz
Zunahme der Erkrankten von 1,1 Millionen 2007 auf 2,2 Millionen 2050, eine Zunahme von 104 Prozent. Zunahme der jährlichen Neuerkrankungen von 290.000 im Jahr 2007 auf 610.000 im Jahr 2050, eine Zunahme von 113 Prozent.
Die absoluten Zahlen einer Krankheit geben einen Eindruck von der zahlenmäßigen Entwicklung dieser Krankheit. Diese Entwicklung muss jedoch vor dem Hintergrund einer abnehmenden Bevölkerungszahl und einer sich verändernden Altersstruktur gesehen werden. Damit kommt der Krankheitsrate, der Zahl der Erkrankten oder der Zahl der Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner eine besondere Bedeutung zu. Sie lässt erkennen welcher Anstieg an finanziellen und personellen Ressourcen zu erwarten ist.
Schlussfolgerung
Eine Morbiditätsprognose, die mit dem Begriff „krank“ die Gesamtmorbidität einer Bevölkerung umfasst, kann es nicht geben. Die Morbiditätsentwicklung von 22 häufigen, zum Teil schweren und in ihrer Gesamtheit kostenintensiven Krankheiten macht jedoch in allen Formen der Darstellung dieser Entwicklung deutlich, welche Aufgaben sich der Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahrzehnten stellen.Es ist nicht vorhersehbar, welche Entlastungen Prävention und medizinischer Fortschritt bringen könnten, es ist aber genauso wenig vorhersehbar, was an neuen und behandlungsfähigen Krankheiten hinzukommen kann und wie sich eine bessere Gesundheitsversorgung auf eine dadurch bedingte weitere Steigerung der Lebenserwartung mit den damit verbundenen höheren Kosten auswirkt. Es dürfte jedoch unbestritten sein, dass die Umsetzung des medizinischen Fortschritts auf die gesamte Bevölkerung, eine berechtigte und von jeder Partei erhobene gesundheitspolitische Forderung, erhebliche Kosten verursachen wird. Hierfür ließen sich allein aus der jüngsten Vergangenheit zahlreiche Beispiele nennen. Demografische Entwicklung und medizinischer Fortschritt stellen damit Anforderungen an die Gesundheitspolitik sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Bezug auf das erforderliche Personal im gesamten Gesundheitswesen, die nicht länger ignoriert werden dürfen. Dies trifft besonders auf die Zeit nach 2020 zu, dem Jahr, von dem an die geburtenstarken Jahrgänge das Rentenalter erreichen. Die Planung für eine gesicherte Gesundheitsversorgung dieser Jahrgänge muss heute beginnen. Lösungen sind nicht kurzfristig aus dem Boden zu stampfen.
Dies ist ein Appell an die nächste Bundesregierung und an die Gesundheitspolitiker im neuen Bundestag, dieses Thema endlich aufzugreifen, der Bevölkerung reinen Wein einzuschenken über die Probleme der Gesundheitsversorgung von morgen und nach Wegen zu suchen, mit denen die in Art und Umfang außergewöhnlichen Probleme gelöst werden können.
- Weiterführende Links
- www.igsf.de